Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass der Vorstand eine von ihm einberufene Hauptversammlung wieder absagen kann. Dies gelte auch dann, wenn die Einberufung aufgrund eines Minderheitsverlangens nach § 122 Abs. 1 AktG erfolgt ist. Nach dieser Vorschrift können Aktionäre, die zusammen mindestens 5 % am Grundkapital einer Gesellschaft halten, vom Vorstand die Einberufung einer Hauptversammlung verlangen. Für die in der Literatur teilweise vertretene Ansicht, wonach der Vorstand eine Einberufung aufgrund eines Minderheitsverlangens nur in Ausnahmefällen zurücknehmen kann, finde sich im Aktienrecht keine hinreichende Grundlage. Lediglich, wenn die Minderheit nach entsprechender gerichtlicher Ermächtigung gemäß § 122 Abs. 3 AktG die Einberufung selbst vorgenommen hat, entfalle das Recht des Vorstand zur Absage der Versammlung, da er in diesem Fall nicht Einberufungsorgan sei.
Die Befugnis zur Absage ergibt sich für den BGH aus der generellen Einberufungszuständigkeit des Vorstands und daraus, dass er die Einberufung auch tatsächlich vorgenommen hat. Es bestehe kein hinreichendes Schutzbedürfnis der Minderheit, von diesem Grundsatz abzuweichen. Durch die Absage würden die Minderheitsaktionäre nicht schlechter gestellt, als wenn der Vorstand ihrem Einberufungsverlangen von vornherein nicht entsprochen hätte. Den Minderheitsaktionären bleibe die Möglichkeit, sich gemäß § 122 Abs. 3 AktG gerichtlich ermächtigen zu lassen, die Hauptversammlung selbst einzuberufen. Auch eine mögliche Pflichtwidrigkeit der Absage ändere nichts an der Wirksamkeit der Absage. Die Frage der Pflichtwidrigkeit sei von der Frage des aktienrechtlichen Kompetenzgefüges strikt zu trennen.
Im entschiedenen Fall hat der BGH die Absage dennoch für unwirksam erachtet, da sie erst nach der in der Einberufung angegeben Zeit des Beginns der Hauptversammlung erfolgte, nachdem sich die erschienenen Aktionäre nach einer Einlasskontrolle bereits im Versammlungsraum eingefunden hatten. Aus Gründen der Rechtssicherheit liege es nahe, die Entscheidung darüber, ob die Hauptversammlung durchgeführt wird oder nicht, den erschienenen Aktionären zu überlassen. Sofern Gründe, die der Durchführung der Versammlung entgegenstehen, so kurzfristig aufträten, dass der Vorstand die Hauptversammlung nicht mehr rechtzeitig vor Beginn absagen könne, könne er durch entsprechende Anträge eine Entscheidung der Hauptversammlung über eine Verschiebung, Unterbrechung, Änderung der Tagesordnung oder ähnliche Maßnahmen herbeiführen. Die Ansicht der Literatur, dass die Kompetenz des Vorstands erst mit der förmlichen Eröffnung der Versammlung ende, teilt der BGH nicht. Zum einen sehe das Gesetz eine förmliche Eröffnung nicht vor. Zum anderen berge das Abstellen auf die Eröffnung der Hauptversammlung die Gefahr, dass der Vorstand, der aufgrund der Einlasskontrollen wisse, welche Aktionäre erschienen sind, die Hauptversammlung nur absagt, weil er ein aus seiner Sicht negatives Stimmenverhältnis fürchtet.
Auch wenn nach Ansicht des BGH die Hauptversammlung nicht wirksam abgesagt worden war, seien dort gefasste Beschlüsse anfechtbar. Dies begründet der BGH damit, dass ein nicht unerheblicher Teil der Aktionäre nach der Mitteilung des Vorstands, dass die Hauptversammlung abgesagt sei, im Vertrauen auf die Wirksamkeit der Absage die Versammlung verlassen hätten. Die Anfechtbarkeit dürfe auch vom Vorstand geltend gemacht werden. Dem stehe nicht entgegen, dass er selbst den Anfechtungsgrund verursacht habe. Denn die Anfechtungsbefugnis des Vorstands sei kein eigennütziges Recht, sondern Ausdruck einer objektiven Pflicht zur Rechtmäßigkeitskontrolle.
Das Urteil im Volltext finden Sie hier. Wenn Sie an weiteren Informationen zu diesem Thema interessiert sind, würde sich Christine Oppenhoff über Ihre Kontaktaufnahme freuen.
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